Donnerstag, 9. Mai 2013

Von chilenischen Widersprüchen, Andenpässen und endloser Weite

16 Tage bleiben wir schlussendlich in Santiago. So lange braucht es, bis der Computer unser italienischen Freunde aus der Reparatur kommt. Glücklicherweise haben wir in dieser Zeit viel zu tun. Neben einigen Besorgungen, gilt es den Geburtstag von Albi gebührend zu feiern und am Bürogebäude unserer Gastgeberin zu arbeiten.

Dennoch sind wir schlussendlich etwas kribbelig, wieder aufzubrechen. Nicht nur sind wir nach dem vielen guten Essen um einige Kilos schwerer, auch scheinen unsere Räder bei der Abfahrt auf einmal wieder unheimlich schwer. Santiago lässt uns aber nicht einfach ziehen... Der Weg aus Santiago auf einem Rad ist legal scheinbar unmöglich. Wir treffen auf ein Tunnel, welches für Radler gesperrt ist und werden dann, bei der stattdessen gewählten Route, von der Polizei von der Strasse verwiesen. Irgendwie schaffen wir es doch die chilenische Hauptstadt zu verlassen. Ein erneuter Widerspruch begegnet uns, als wir einige Kilometer später bei einem weiteren Tunnel von der Strassenbehörde einen Transport zur Verfügung gestellt bekommen, obwohl offiziell gar keine Fahrräder auf der Strasse erlaubt wären.

Die Anden stellen sich wie eine Wand in unseren Weg. 1 ½ Tage nach Santiago stehen wir vor den Toren des „Paso los Libertadores“. Die erste „richtige“ Andenüberquerung erwartet uns. Leider ist diese Passstrasse momentan wegen Strassenarbeiten von Chile nach Argentinien nur zwischen 20:00 und 7:00 Uhr (d. h. bei Dunkelheit) befahrbar. Diese Umstände haben uns im Voraus viel Kopfzerbrechen beschwert, doch nun als wir vor der Strassensperrung stehen, fragen wir nochmals bei der Polizei nach. Erfreulicherweise ist der Polizist im Dienst der Meinung, dass es für uns besser sei, während des Tageslichtes mit Gegenverkehr zu fahren, als im Dunkeln mit Verkehr in unserem Rücken. Mit voller Freude brechen wir auf und erklimmen die ersten Höhenmeter. 10 Kilometer später finden wir einen kleinen Camping, wo wir für die Nacht unsere Zelte aufschlagen. Am nächsten Morgen sind wir um 9:00 Uhr wieder auf der Strasse. Doch nur wenige Kilometer später treffen wir wieder auf eine Strassensperre. Hier werden wir mit grossen Augen empfangen. Es scheint der Verantwortlichen unerklärlich, wie wir bis hierhin gekommen sind. Nach unseren Erklärungen fragt sie bei der Polizei nach, welche verleugnet uns die Erlaubnis gegeben zu haben, während des Tages zu fahren. Es herrscht Verwirrung und schliesslich heisst es, die Polizei komme zu uns um die Sache zu klären. Nach einer Stunde des Wartens ist keine Polizei eingekehrt, doch wir bekommen nun plötzlich die Erlaubnis weiterzufahren. Wir geniessen die 29 steilen Kehren in die Höhe. Gegen Mittag erreichen wir den chilenischen Grenzposten kurz vor der Passhöhe. Hier werden wir wiederum gestoppt und es beginnen erneut die gleichen Diskussionen. ...Wer hat euch erlaubt während des Tages zu fahren...? Diesmal kennen die Verantwortlichen kein Erbarmen und wir müssen unseren Tag beenden. Den Nachmittag verbringen wir in einem kleinen leerstehenden Container mit Kartenspiel und kleinen Snacks. Unser Plan um 20:00 Uhr ein Bus um Mitfahrt durch den für Radler gesperrten Tunnel zu bitten, wird jähe zerstört, als wir hören, dass der Pass aufgrund Schneesturm auf argentinischer Seite geschlossen wurde. Der kleine Container bietet sich als Schlafplatz an. Hie und da tauchen Leute auf und fragen, was wir hier machen. Nachdem wir jeweils die gesamte Geschichte erzählt haben, willigen sie ein, uns hier nächtigen zu lassen. Doch gerade als wir unsere Schlafmatten ausrollen, taucht der „Chef“ auf. Dieser verbietet uns hier zu schlafen. Es werde viel zu kalt nachts und somit müssen wir in die Zoll-Abfertigungshalle zügeln. Wohl eine gut gemeinte Geste – doch in diesem auf 25 °C geheizten, geschäftigen Raum bringen wir kaum ein Auge zu.

Am nächsten Morgen verziehen wir uns sofort wieder in „unseren Container“ und wärmen uns mit viel Kaffee. Um 14:00 Uhr bekommen wir dann endlich die Erlaubnis erneut aufzubrechen. In Windeseile packen wir unsere Sachen zusammen, bevor wieder jemand seine Meinung ändern kann. Bei 3 °C und leichtem Schneefall fahren wir die letzten 5 km bis zum Tunnel auf 3180 Meter über Meer. Überraschenderweise ist es hier dann wieder kein Problem uns bereits jetzt durch den Tunnel zu transportieren. Umso grösser ist die Freude als wir auf der anderen Seite auf etwas mehr Sonnenschein treffen. Die Abfahrt wartet mit atemberaubender Landschaft auf. Wir geniessen jeden Meter. In unmittelbarer Nähe der Puente del Inca stellen wir unser Zelt auf.

Am nächsten Morgen machen wir nochmals einige Kilometer zurück zum Nationalpark. Dank des stahlblauen Himmels haben wir nun beste Sicht auf den gestern noch hinter Wolken verborgenen 6962 Meter hohen Aconcagua (höchster Berg ausserhalb des Himalaya-Gebirges). Ein majestätischer Anblick.

Anschliessend radeln wir durch eine Traumlandschaft talwärts. Obwohl es tendenziell hinunter geht, sind auch einige Gegenanstiege zu bewältigen. Glücklicherweise unterstützt uns für einmal ein zügiger Rückenwind. Im Dörfchen Uspallata (Drehort für 7 Jahre in Tibet) erwartet uns plötzlich wieder vermehrt Laub und herbstlich verfärbte Bäume. Umso näher wir Mendoza kommen, umso ergiebiger die Natur und schlussendlich finden wir uns in bestem Weinanbaugebiet.

In Mendoza angekommen, geniessen wir natürlich auch „einige Schlücke“ des guten Weines. Das Preis-/Leistungsverhältnis überzeugt (1 Liter für sFr. 1.20). Somit erstaunt es wenig, dass wir am nächsten Tag alle mit einem etwas schweren Kopf wieder aufbrechen.

Nach Mendoza erwartet uns eine grosse landschaftliche Leere. Der Strassenrand gleicht in den ersten 100 Kilometer ausserhalb einer Müllhalde. Ein trauriger Anblick... Doch die spielenden Kinder vor den einfachen Lehmhütten schauen jedes Mal begeistert auf und zeigen mit ausgestreckten Armen auf die seltsamen Radler. Winkt man ihnen zu, antworten sie mit breitem Grinsen. Auf dem Weg besichtigen wir das Sanitarium der Difunta Correa. Eine Heldenfigur der Argentinier....

Schlussendlich finden wir uns wieder in der Pampa. Die Weite die wir hier erfahren, übertrifft sogar das australische Outback! Es ist ein herrliches Gefühl durch diese endlose Landschaft zu radeln. Der Verkehr ist mässig und durch die absolute Stille hört man sogar das Rascheln der vereinzelten wilden Tiere (Füchse, Hasen, Mäuse). Der nächtliche Sternenhimmel lädt zum Träumen ein.

Im Valle de la Luna Nationalpark ähnelt die Natur tatsächlich der Mondlandschaft. Man kann sich direkt die Dinosaurier vorstellen, die hier vor Millionen Jahre gehaust haben. Es ist der Fundort der ältesten Dinosaurier weltweit.

Die Cuesta de Miranda überrascht uns erneut. Der Anstieg milde und angenehm und die Abfahrt ein wahres Bijou. Ein solche Strasse sucht seinesgleichen.

Es sind nun genau zwei Wochen seit unserer Abfahrt in Santiago vergangen und 1000 Kilometer haben wir zurückgelegt. Umso mehr freuen wir uns, dass wir in Jorge einen netten Warmshower-Host gefunden haben. Im Kreise seiner Familie verbringen wir einen netten Ruhetag und geniessen das reichlich gute Essen.