Montag, 1. Dezember 2014

Vorfreude

Es braucht eine Weile bis wir realisieren, im deutschsprachigen Raum angekommen zu sein. Vor lauter Freude nun auf einen Schlag jedes Plakat sowie jede (Strassen-) Tafel verstehen zu können, verbringen wir die Fahrt nach Wien anstelle mit Gesprächen, damit laut vorzulesen. Diese Eigenart hält die Österreicher aber nicht davon ab uns anzusprechen und uns über unsere Reise auszufragen. In der Hauptstadt freuen wir uns darauf Boris, einen Reisegefährten der ersten Radreise, wiederzusehen und bekommen für fast eine Woche ein gemütliches Zuhause. Der überraschende Besuch von U-T und Familie freut uns wahnsinnig und wir verbringen die nächsten Tage gemeinsam bei Stadtausflügen.

Nach der gemütlichen Zeit in Wien satteln wir einmal mehr unsere Räder. Immer noch mit einem Zeitpuffer von 3 Wochen, beschliessen wir noch einen kleinen Umweg einzulegen. So fahren wir bei weiterhin schönem Herbstwetter entlang der Donau Richtung Nordwesten. Wir staunen wie viele Radfahrer wir hier täglich sehen. Oftmals handelt es sich um organisierte Radtouren und wir unterscheiden uns sichtbar in Gepäck, Kleidung und Fahrstil. Wir sind erfreut, dass unsere Landesnachbarn uns bestens gesinnt sind und uns auf Ihrem Grundstück, im Heu oder sogar in einem kleinen Zimmer eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten.

Wir kommen in Europa sehr schnell voran, was zum einem an der flachen Streckenführung aber auch an den hervorragend und grosszügig ausgebauten Fahrradwegen liegt. Es ist aber auch gewöhnungsbedürftig auf so einem Streckennetz unterwegs zu sein und immer die nächste Richtungstafel nicht zu verpassen. Mehrmals kommt es vor, dass wir uns verfahren und sich so ein paar extra Kilometer einschleichen.

Die Entfernung zu unserer Enddestination wird auf der Karte immer kleiner und wir müssen uns bewusst zurücknehmen, damit wir nicht zu früh vor unserer geplanten Ankunft eintreffen. So ist der Besuch bei Familie Lutz in der Nähe von Stuttgart der ideale Ort um nochmals auszuspannen und über erlebtes zu berichten.

Die nächsten Tage folgen wir einem kleinen Nebenfluss des Rheins. Der Neckar führt uns durch romantische Dörfer wo uns die schönen Fachwerkhäuser einige Jahrhundert zurück versetzen. Im Schwarzwald wird das Terrain nochmals hügelig und wir fahren kurze und intensive Steigungen. Das Herbstwetter zeigt sich weiterhin von der besten Seite und obwohl die Temperaturen in der Nacht bereits nahe am Gefrierpunkt sind, erwärmt uns die schöne Landschaft, die offenen Leute und der Gedanke in wenigen Tagen wieder bei unseren Liebsten zu sein.

Nun wird es also langsam Zeit sich mit der Grenzüberquerung zurück in die Schweiz zu befassen. Wir sind nervös und erfreut zugleich als wir mit weichen Knien die Grenze in der Nähe von Schaffhausen erreichen. Der Zollbeamte schaut komisch aus der Wäsche als Roger den Boden küsst und wir einige Tränen vergiessen.

Mittwoch, 22. Oktober 2014

4 Länder in 20 Tagen

Mental haben wir uns sicherheitshalber bereits auf schlechtes Wetter und Dauerregen eingestellt. Doch während der Himmel weiterhin lacht, werden wir am Grenzübergang überraschend von unten nass – die Gebühr für das erschreckende “Desinfektions-Bad” können wir dann zumindest umgehen... Ein kurzer Blick des Zöllners in den Reise-Pass, doch ohne einen weiteren Stempel gelangen wir nach Bulgarien und somit in die EU. Der augenfälligste Unterschied bilden die nun in jedem Dorf aufzufindenden Kirchen. Ein Anblick der nach 26 Wochen im islamischen Raum erstaunt – ebenso das öffentliche Trinken von Alkohol (was in Bulgarien offenbar auch gerne schon früh morgens gemacht wird) oder die Bewerbung von Autogaragen mit freizügig bekleideten Damen...

Erneut wählen wir kleine Nebenstrassen und winden uns so in stetigem leichtem auf und ab einen Weg in Richtung Norden.

Nach nur vier Tagen erreichen wir die Donau und somit die Grenze zu Rumänien. Mit der Fähre erreichen wir das 18. Reiseland. Die Differenzen sind erneut nur klein, doch Rumänien gefällt uns auf den ersten Blick.

Beim Radeln durch die farbigen Dörfer mit den (einst) prunkvollen Häusern, queren wir fast so viele Pferdekarren wie Autos. Die Leute sind deutlich zurückhaltender als die (zentral-) asiatischen Zeitgenossen. Obwohl wir die vielen Kontakte immer genossen hatten, freuen wir uns jetzt auch wieder über etwas mehr “Ruhe”. Gerne stellen wir unser Zelt auch mal wieder versteckt im Wald auf und geniessen unser Abendmahl ohne nebenbei Unterhalten zu müssen. Nach über 20 Monaten doch eher einfacher Kost (wenn selbst gekocht), haben wir uns zu einem Wechsel hinreissen lassen. Eine neue Bratpfanne und die Lust auf mehr “Gourmet” mischt unseren Speiseplan ordentlich auf!

Über eine schöne Passstrasse geht es weiter. Die Landschaft ist rau und bietet ein Zuhause für einige Bären. Glücklicherweise erinnern wir uns an die “Bären-Vorsichtsmassnahmen beim Campen” aus Alaska/Kanada und bleiben somit vor einem nächtlichen Besuch im Zelt verschont. Die bekannte Serpentinenstrasse des Transfagarasan bringt uns wieder hinunter nach Sibiu (Hermannsstadt).

Die Weiterfahrt bringt goldiges Herbstwetter und nachdem wir jeweils morgens etwas an die Finger frieren, können wir uns gegen Mittag meist wieder bis auf Kurzarm entledigen. Entlang eines Nationalparkes kommt die schöne Herbststimmung besonders gut zu tragen. Kühe (inkl. Kuhglocken) auf grünen Wiesen, Berge, Wald und Holzhäuser lassen uns wie im Tirol oder in der Schweiz fühlen...

In Europa geht es Schlag auf Schlag und so steht nach zwei schönen Wochen bereits der nächste Grenzübergang an. Wir spüren förmlich, wie wir uns der Heimat nähern – nun befinden wir uns endlich wieder in der gleichen Zeitzone. Auch die wunderbar radfreundlichen Bahnübergänge oder die Deutschen Grosshändler (Lidl, Aldi etc.) erinnern an Zuhause.

In Ungarn geht es flott voran, dies vor allem da es unglaublich flach ist. Während wir anfangs noch auf separaten Radwegen (juhe!) fahren, sind wir plötzlich von vielen Verbotsschildern umgeben. Irgendwie scheinen Radler auf vielen Strassen nicht erwünscht, doch glücklicherweise nimmt es die Polizei nicht so genau.

Budapest geniessen wir gemeinsam mit vielen anderen Touristen, bevor wir auf dem Euro6, einem bekannten Langstrecken-Veloweg, wieder problemlos aus der Stadt finden.

Als Nächstes steht ein Kurzbesuch in der Slowakei an. Erstmals passieren wir eine total unbesetzte Grenzstation und trotzdem ist vieles anders im nächsten Land. Uns scheint, dass die Strassen fast schweizer Qualität haben, sodass wir die wenigen Kilometer im Land, nochmals schneller zurücklegen können.

Nach nicht einmal 24 Stunden verlassen wir die Slowakei bereits wieder – nach 642 Tagen auf Reise betreten wir erstmals wieder deutschsprachigen Raum!

Mittwoch, 8. Oktober 2014

Europa entgegen...

Gleich nachdem Julia den türkischen Einreise-Stempel im Pass hat, wird ihr vom Zollbeamten signalisiert, dass sie sich des Kopftuches entledigen darf. Sofort nimmt sie die bereits oben in der Packtasche deponierten Kleider hervor und verzieht sich auf die Toilette zum Outfit-Wechsel. Nach 28 Tagen im "Pyjama" führt das Gefühl von frischer Luft auf der Haut zu einigen Freudentränen!

Die gute Stimmung hält auch in den nächsten Tagen an. Die Türkei verwöhnt uns mit besten Strassen, deutlich weniger Verkehr (im Vergleich zu Iran) und abwechslungsreicher Landschaft. Immer wieder müssen wir uns kneifen – wir sind in der Türkei und somit praktisch in Europa angelangt. Als wir dann nur unweit der Grenze ein uns bekanntes oranges “M” erblicken, fühlen wir uns auf einen Schlag der Heimat sehr nahe...

Der Osten der Türkei ist Zuhause für viele Kurden, welche uns äusserst gastfreundlich empfangen. Auch hier könnten wir zig Mal am Tag für ein “Çay” (Tee) stoppen und haben nie Probleme einen Übernachtungsplatz zu finden. Die kurdisch/türkische Küche schmeckt uns ausserordentlich gut.

Entlang des grossen Van Sees können wir uns mehrmals abkühlen. Bedenklich ist leider die anhaltend sehr starke Umweltverschmutzung und es erstaunt uns, wie sich die Badegäste zwischen dem Abfall wohlzufühlen scheinen.

Immer wieder werden wir auf Deutsch angesprochen. Ein komisches Gefühl wenn es selbst in kleinen und abgelegenen Dörfern plötzlich heisst “Sprecht ihr Deutsch?”. Meist handelt es sich um Kurden, welche in den 90er Jahren aufgrund Ausschreitungen des Türkisch-kurdischen Konflikt in der Schweiz oder in Deutschland Asyl gefunden hatten. Deutlich spüren wir die Dankbarkeit und oftmals hören wir “Ihr habt uns geholfen, jetzt helfen wir euch!”.

Leider führen auch aktuelle Kriegswirrungen für viel Leid und mehrmals sehen wir syrische Flüchtlingslager am Strassenrand.

Um unsere Reisedauer mit Victor und Tim noch etwas zu verlängern, nutzen wir spontan nochmals den ÖV und überbrücken eine Strecke mit dem Zug. Dieser ist mit max. 30 km/h unterwegs und lässt uns somit die Strecke fast ebenso intensiv wie auf dem Rad geniessen, nur müheloser!

Da unsere Reisebegleiter Besuch von Zuhause bekommen, trennen sich unsere Wege einige Tage später trotzdem und wir fahren alleine weiter. Wir erreichen Kappadokien – ein weiteres Highlight in diesem abwechslungsreichen Land. Auf dem Weiterweg wählen wir bewusst kleine Nebenstrassen und erleben hügelige Radeltage durch kleine Dörfchen. Während man auf dem Dorfplatz meist viele Männer beim geselligen Çay erblickt, trifft man eher selten auf Frauen.

In einem fruchtbaren Tal angelangt, staunen wir, was hier die Natur alles hergibt: In leuchtenden Farben locken Tomaten, Gurken, Peperoni und Auberginen, aber auch Mais-, Melonen- und Kürbis-Felder. Neben blauen und weissen Trauben-Reben, sind die Bäume schwer mit Granatäpfeln, Birnen, Äpfeln und Baumnüssen bestückt. Sogar die Bauern scheinen mit der Ernte überfordert und abends muss sich Roger noch ein extra "Kistli" aufs Velo binden – der Vitamin-Boost und die Vorfreude bringen uns im Eiltempo nach Istanbul.

Um uns die mit dem Rad etwas stressige, langezogene Einfahrt durch die Grossmetropole zu ersparen, setzen wir mit der Fähre nach Europa über. Istanbul hat viel zu bieten und die ausgiebigen Erkundungstouren zu Fuss machen sich noch Tage später mit einem deutlichen Muskelkater bemerkbar.

Die Fahrt aus Istanbul entlang des Bosporus ist überraschend problemlos. Nach einem Erfrischungsbad im kühlen Nass, steuern wir in Richtung Grenze. In Edirne, nur 20 km von Bulgarien entfernt, spannen wir nochmals aus. Kurzum bucht Roger einen Tauchgang im Marmarameer, während Julia erstmals auf dieser Reise zu einem Tag “sünnelen” am Strand kommt.

Donnerstag, 25. September 2014

Islamische Republik Iran

Unsere Einreise in die Islamische Repulik Iran war mit gemischten Gefühlen verbunden. Die durchwegs positiven Rückmeldungen angetroffener Iran-Reisender stehen im Kontrast zu der überwiegend negativen Berichtserstattung der Medien. Etwas nervös kleidete sich Julia noch am Zoll Turkmenistans in ihr neues Outfit. Im Iran ist es für Frauen (ab 9 Jahren) Pflicht sich zu verhüllen. Das heisst knielanges Oberteil, lange Hose und Kopftuch – auch bei 40 °C im Schatten und für fahrradfahrende Touristinnen...

Der Grenzübergang verlief unerwartet unproblematisch, Julias Outfit hat den Test bestanden – während Roger weiterhin im Kurzarmoutfit radeln darf.

Als Erstes steuern wir Mashhad an, das religiöse Zentrum des Irans. Über die Warmshowers Vereinigung, finden wir eine Bleibe bei einer streng gläubigen Familie. Die Söhne sprachen sehr gutes Englisch und so konnten wir in vielen interessanten Gesprächen einiges über den Islam und die iranische Politik erfahren. Während wir auf unserer bisherigen Reise die Themen „Religion und Politik“ mit Einheimischen eher zu meiden versuchten, drehte sich hier alles um diese Thematik.

Während die Familie aufgrund des Fastenmonats Ramadan nur von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang essen durfte, wurden wir ganztags mit Essen überhäuft. Trotz der unglaublichen Gastfreundschaft war es für Julia nicht immer einfach. Der Islam untersagt Freundschaften zwischen Mann und Frau. So finden die Unternehmungen meist geschlechtergetrennt statt und Julia wurde z. B. in die Gespräche unter den englisch sprechenden Männer nicht miteinbezogen.

Nach einigen Tagen in Mashhad, schwangen wir uns wieder auf die Räder und fuhren Richtung Norden. An fast jeder Strassenecke wurde uns Tee angeboten. Hätten wir jede Einladung angenommen, würden wir uns wohl noch heute im Iran befinden.

In Bojnord, einer Kleinstadt im Nordosten des Landes wurden wir von einem sehr lieben Ehepaar eingeladen. Mister Azim und seine Frau Batool empfingen uns wie ihre eigenen Kinder und verwöhnten uns in jeglicher Hinsicht. Die beiden genossen es sehr, uns bei sich zu haben, sind doch ihre Kinder aufgrund des Studiums im ganzen Land verteilt. Während hier die Religion weniger im Vordergrund stand, konnte sich Julia zumindest in der Wohnung das Kopftuch ausziehen. Um die Privatsphäre zu wahren, sind meist alle Fenster der Wohnung mit dicken Vorhängen oder Läden verschlossen.

Von Batool und Azim lernten wir auch von der Lebensfreude dieses Volkes. Wir waren etwas überrascht, als es um 22 Uhr hiess, wir gingen picknicken. Die Iraner sind wahre Picknickmeister und so finden wir uns etwas später in einem schönen Park mit hunderten von Gleichgesinnten zum gemütlichen Beisammensein. Die Aussage, dass dies eine ihrer Freiheiten sei, lässt uns spüren, dass nicht alle Bewohner mit der Regierung gleich glücklich sind.

Immer wieder wurde uns die Küstenstrasse entlang des Kaspischen Meeres an Herz gelegt. Doch anstatt der erhoften landschaftlichen Schönheit, hatten wir tränende Augen vor Abgasen. Im Sekundentakt rauschen Autos und grosse Lastwagen an uns vorbei, was das Fahrradfahren, trotz exzellenter Strassen, nicht angenehm macht. In diesen Momenten treibt uns einzig die ungebrochene Gastfreundschaft der Iraner an. Das Interesse der Einheimischen ist stets ungebrochen. Neben täglichen Fotoshootings mit euphorischen Familien, bekommen wir unglaublich viel geschenkt. So wurden wir einmal von einer Familie angehalten, welche uns neben kaltem Wasser und Melone, ein Kopftuch, eine Haarspange, eine CD, einen Teebecher und einen Koran in Taschenformat schenkte. Setzten wir uns für eine Pause in den Schatten eines Shops, war es gang und gäbe, dass uns ein Unbekannter mit einer Glace oder kaltem Getränk überraschte. Sogar aus dem fahrenden Auto wurden uns Geschenke überreicht... Unglaublich was wir alles an Lebensmittel bekommen haben. Manchmal hatte wir Mühe alles frischgerecht zu verzehren und das soll schon was heissen bei unserem Appetit!

Am Kaspischen Meer treffen wir zwei Franzosen, mit welchen wir einen Nachtbus nach Tabriz nehmen. Wir geniessen es nach genau einem Jahr wieder einmal zu Viert unterwegs zu sein. Die Landschaft im Nordwesten ist für uns wieder interessanter und so fahren wir auf hügligem Terrain mit Timothée und Victor der türkischen Grenzen entgegen.

Wieder einmal wurde uns klar, dass man Regierung und Bevölkerung nicht in den gleichen Topf werfen darf. Der Iran hat uns mit seiner Gastfreundschaft überwältigt. Noch nie auf unserer Reise sind wir so oft eingeladen und beschenkt worden. Wir spürten jedoch auch, dass dieses Land zweigeteilt ist. Auf der einen Seite die streng Gläubigen, welche sich voll und ganz mit der Islamischen Führung identifizieren und auf der anderen Seite die Leute, welche sich die Zeit vor der Revolution zurückwünschen. Wir hoffen, dass es für dieses Land eine friedliche Zukunft gibt, die Bewohner hätten es verdient!