Mittwoch, 8. Oktober 2014

Europa entgegen...

Gleich nachdem Julia den türkischen Einreise-Stempel im Pass hat, wird ihr vom Zollbeamten signalisiert, dass sie sich des Kopftuches entledigen darf. Sofort nimmt sie die bereits oben in der Packtasche deponierten Kleider hervor und verzieht sich auf die Toilette zum Outfit-Wechsel. Nach 28 Tagen im "Pyjama" führt das Gefühl von frischer Luft auf der Haut zu einigen Freudentränen!

Die gute Stimmung hält auch in den nächsten Tagen an. Die Türkei verwöhnt uns mit besten Strassen, deutlich weniger Verkehr (im Vergleich zu Iran) und abwechslungsreicher Landschaft. Immer wieder müssen wir uns kneifen – wir sind in der Türkei und somit praktisch in Europa angelangt. Als wir dann nur unweit der Grenze ein uns bekanntes oranges “M” erblicken, fühlen wir uns auf einen Schlag der Heimat sehr nahe...

Der Osten der Türkei ist Zuhause für viele Kurden, welche uns äusserst gastfreundlich empfangen. Auch hier könnten wir zig Mal am Tag für ein “Çay” (Tee) stoppen und haben nie Probleme einen Übernachtungsplatz zu finden. Die kurdisch/türkische Küche schmeckt uns ausserordentlich gut.

Entlang des grossen Van Sees können wir uns mehrmals abkühlen. Bedenklich ist leider die anhaltend sehr starke Umweltverschmutzung und es erstaunt uns, wie sich die Badegäste zwischen dem Abfall wohlzufühlen scheinen.

Immer wieder werden wir auf Deutsch angesprochen. Ein komisches Gefühl wenn es selbst in kleinen und abgelegenen Dörfern plötzlich heisst “Sprecht ihr Deutsch?”. Meist handelt es sich um Kurden, welche in den 90er Jahren aufgrund Ausschreitungen des Türkisch-kurdischen Konflikt in der Schweiz oder in Deutschland Asyl gefunden hatten. Deutlich spüren wir die Dankbarkeit und oftmals hören wir “Ihr habt uns geholfen, jetzt helfen wir euch!”.

Leider führen auch aktuelle Kriegswirrungen für viel Leid und mehrmals sehen wir syrische Flüchtlingslager am Strassenrand.

Um unsere Reisedauer mit Victor und Tim noch etwas zu verlängern, nutzen wir spontan nochmals den ÖV und überbrücken eine Strecke mit dem Zug. Dieser ist mit max. 30 km/h unterwegs und lässt uns somit die Strecke fast ebenso intensiv wie auf dem Rad geniessen, nur müheloser!

Da unsere Reisebegleiter Besuch von Zuhause bekommen, trennen sich unsere Wege einige Tage später trotzdem und wir fahren alleine weiter. Wir erreichen Kappadokien – ein weiteres Highlight in diesem abwechslungsreichen Land. Auf dem Weiterweg wählen wir bewusst kleine Nebenstrassen und erleben hügelige Radeltage durch kleine Dörfchen. Während man auf dem Dorfplatz meist viele Männer beim geselligen Çay erblickt, trifft man eher selten auf Frauen.

In einem fruchtbaren Tal angelangt, staunen wir, was hier die Natur alles hergibt: In leuchtenden Farben locken Tomaten, Gurken, Peperoni und Auberginen, aber auch Mais-, Melonen- und Kürbis-Felder. Neben blauen und weissen Trauben-Reben, sind die Bäume schwer mit Granatäpfeln, Birnen, Äpfeln und Baumnüssen bestückt. Sogar die Bauern scheinen mit der Ernte überfordert und abends muss sich Roger noch ein extra "Kistli" aufs Velo binden – der Vitamin-Boost und die Vorfreude bringen uns im Eiltempo nach Istanbul.

Um uns die mit dem Rad etwas stressige, langezogene Einfahrt durch die Grossmetropole zu ersparen, setzen wir mit der Fähre nach Europa über. Istanbul hat viel zu bieten und die ausgiebigen Erkundungstouren zu Fuss machen sich noch Tage später mit einem deutlichen Muskelkater bemerkbar.

Die Fahrt aus Istanbul entlang des Bosporus ist überraschend problemlos. Nach einem Erfrischungsbad im kühlen Nass, steuern wir in Richtung Grenze. In Edirne, nur 20 km von Bulgarien entfernt, spannen wir nochmals aus. Kurzum bucht Roger einen Tauchgang im Marmarameer, während Julia erstmals auf dieser Reise zu einem Tag “sünnelen” am Strand kommt.

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