Mittwoch, 30. April 2014

China, ein Kulturschock!

Mit einem 30-Tagesvisum im Gepäck reisen wir in ein riesiges Land ein. Der Grenzübergang verläuft reibungslos und schon befinden wir uns auf zweispuriger Autobahn, die wir mit modernen Autos teilen. Die erste Ortschaft empfängt uns mit überdimensionalen Betonbauten, obwohl wir eigentlich nur mit einem kleinen Dorf gerechnet haben. Auf einen Schlag befinden wir uns in einer anderen Welt – eine Art Monopoly-Welt, die grosszügigen Gebäude scheinen miteinander zu konkurieren.

Aufgrund dieses Bauwahns ist es für eine Weile mit dem Campen vorbei. Die Unterkunft-Suche gestaltet sich zeitweise schwierig, da Touristen - oder „Aliens“, wie Ausländer hier genannt werden – nur in bestimmten Hotels zugelassen sind. So passiert es mehrere Male, dass wir nach einem langen Fahrtag von Hotel zu Hotel ziehen, bis wir bleiben dürfen. Es passiert sogar, dass man uns zwar zuerst ein Zimmer gibt, wir dann (bereits unter der Dusche stehend) wieder weggeschickt werden. Jedoch fast alltäglich ist der spät abendliche Polizisten-Besuch im Zimmer, welcher nochmals unsere Pässe und Visa kontrolliert. Obwohl die Beamten immer freundlich und oftmals interessiert sind, bleiben uns – auch aufgrund der Sprachbarriere (ja, auch Polizisten sprechen kein Wort Englisch) sind uns die diesbezüglichen Regeln bis heute nicht wirklich verständlich.

Die Provinz Yunnan liegt im subtropischen und heissen Süden Chinas. Sobald wie möglich weichen wir auf ruhige Nebenstrassen aus. Hier treffen wir nur auf vereinzelte Motorräder oder Traktoren, da sich der ganze Verkehr auf den Autobahnen bewegt. Wir radeln über kleinere und grössere Hügel, wobei wir viele Höhenmeter zurücklegen und tausende wunderschön angelegte Terrassen bewundern können. Jede Fläche wird exzessiv zum Anbau genutzt. Neben den Reis-, Getreide- und Tee-Terrassen treffen wir auf schier endlose Bananenplantagen.

Nachdem wir vorgängig geteilte Meinungen gehört hatten, wurden wir ausgesprochen freundlich von den Chinesen empfangen. Unzählige Male werden wir zum Essen und Tee eingeladen und ernten bei anstrengenden Steigungen aufmunternde „Daumen hochs“. Trotz der grossen Sprachbarriere sind die Menschen interessiert und kommen auf uns zu um mehr zu erfahren. Bei der Verständigung mit Händen und Füssen sammelt sich meist schnell eine ganze Menschentraube um uns. Das offenkundige Angestarrt-Werden ist anfänglich etwas gewöhnungsbedürftig, doch es wird überraschend schnell zu einer gewissen Normalität.

Die Konfrontation mit den kulturellen Unterschieden ist immer interessant, zum Teil schockierend und manchmal auch einfach amüsant. Der Verzehr von Mahlzeiten ist bei den Chinesen von vielen Geräuschen begleitet. Es wird geschmatzt, geschlürft und auch herzhaft gerülpst. Knochen oder unerwünschte Esswaren werden selbst im Restaurant schwunghaft auf den Boden geworfen. Leider sind die zurückgelassenen Essensreste enorm - oftmals mehr als die Hälfte wird stehen gelassen. Dies rührt wohl daher, dass der Gastgeber/Zahler aus Angst vor dem sogenannten (in China sehr gefürchteten) „Gesichtsverlust“ die doppelte Menge bestellt. An das stetige Spucken (egal ob in oder ausserhalb Gebäuden) konnten wir uns bis zum Ende nicht wirklich gewöhnen.

Nach drei Wochen werden wir in einem 600'000 Einwohner-„Städchen“ von einem Polen angesprochen. Er ist wohl ebenso überrascht über die „Alien-Sichtung“ wie wir. Es ist die erste Begegnung mit einem Nicht-Chinesen seit gut drei Wochen. Das schlechte Wetter mit Regen und Gegenwind, lässt uns sein Angebot bei ihm unterzukommen, schnell annehmen. Dawid ist eine Weltenbummler und ist nun bereits seit drei Jahren Englisch-Lehrer an einer Privatschule. In stundenlangen Gesprächen erfahren wir viel über die chinesische Kultur.

Dank ihm bekommen wir die Möglichkeit einen Blick ins Klassenzimmer zu werfen und den Unterricht mitzuerleben. Die Förderung von (Klein-)Kindern ist enorm. Die Einzelkinder („Ein-Kind-Politik“) werden von den Eltern regelrecht getrimmt. Man stelle sich vor, dass ein 8-jähriges Mädchen morgens um 6 Uhr aufsteht und zur Schule geht. Die Klassenzimmer sind mit durchschnittlich 60 Schülern gefüllt, wobei es an den öffentlichen Schulen ziemlich militärisch zugeht. Erst um 18 – 19 Uhr ist Schulende, auch das Mittagessen wird in der Schule eingenommen. Hausaufgaben bis um Mitternacht sind auch in diesem Alter keine Seltenheit. Auch am Wochenende gibt es keine Erholung. Samstag und Sonntag werden die Kinder (solcher, die es sich leisten können) in Privatschulen geschickt, um noch mehr aus den Kindern herauszuholen. Freizeit ist hier leider ein Fremdwort und wir zweifeln, ob dies der richtige Weg ist. Die Jugend-Suizid-Rate ist erschreckend hoch...

Vernissage von Dawids Malkurs

Ganze vier Nächte bleiben wir bei Dawid, bevor wir mit dem Zug nach Chengdu fahren. Unser Visum läuft bald ab und das wollen wir in dieser 14 Millionen Metropole verlängern. Das Prozedere verläuft dank dem fahrradbegeisterten Beamten überraschend einfach und bereits nach drei Tagen haben wir ein weiteres 30-Tagesvisum in unserem Pass.

Bei der Weiterfahrt passieren wir das Gebiet des starken Sichuan-Erdbebens in 2008. Noch heute zeigt sich das Bild der Zerstörung dieser gewaltigen Naturkatastrophe. Die Erschütterung forderte gegen 70'000 Todesopfer und mehr als 5.8 Millionen Menschen wurden obdachlos. Viele Strassen sind auch heute noch unpassierbar und wir sind gezwungen auf den Highway auszuweichen. Dabei gilt es einen „Tunnel-Marathon“ zurückzulegen – über 16 km rollen wir durch teilweise kaum beleuchtete Röhren.

Anfänglich empfängt uns Osttibet mit frühlingshaftem Wetter. Kirschblüten verleihen grauen Hängen Farbe. Zwar nur leicht, aber stetig steigt die Strasse und bald befinden wir uns auf über 3500 M.ü.M. Die Temperaturen sinken merklich und schlussendlich geraten wir kurz vor einem Pass sogar in einen Schneesturm. Mit unserer guten Ausrüstung sind wir glücklicherweise gewappnet und trotzen der ungemütlichen Situation.

Auf dem Hochplateau angekommen, tauchen wir in die vom Buddhismus geprägte tibetische Kultur ein. Wir besichtigen verschiedene Kloster, werden auf den Pässen von Gebetsfahnen empfangen und in jedem Dorf sichten wir Gläubige bei ihren täglichen Ritualen. Natur und Leute strahlen eine gewisse Ruhe aus. Unterwegs grasen Schaf- und Yakherden, während in den Orten die Mönche mit ihren tiefroten Gewändern ihren Alltagsgeschäften nachgehen.

Leider erfordern die Visa-Bestimmung (Zentral-)Asiens einige Bürokratie und immer öfters widmen wir uns an „Frei-Tagen“ der Planung der Weiterreise. Zuerst planen wir von China nach Kirgistan einzureisen. Kirgistan ist als einziges Land Zentralasiens ohne Visa bereisbar und daher zuerst unser nächstes Reiseziel. Da es jedoch Radfahreren verboten ist das Grenzgebiet selbst zu befahren, müssten wir auf eine Touragentur zurückgreifen. Hiermit würden uns die ca. 150 km mit ca. 600 Dollar zu Buche schlagen. Dieser überrissene Betrag führt dazu, unsere Pläne kurzfristig zu ändern. Kurz darauf sitzen wir im Bus um im entfernten Urumqi das Kasachstan-Visa beantragen zu können.

Die 33-stündige Busfahrt führt grösstenteils durch karge Wüste und verläuft unerwartet kurzweilig. Urumqi ist mit 2500 km die am weltweit entfernteste Stadt eines Meeres. Hier schnuppern wir bereits zentralasiatische Luft. Ein Grossteil der Bewohner ist Moslem, was sich in Essen, Stadtgestaltung und Kleidung sichtbar macht. Nach ca. 8 Stunden auf dem kasachischen Konsulat, über 70 Fahrrad-km und 9 Tagen Wartezeit haben wir endlich das gewünschte Visum im Pass.

Leider bleibt uns anschliessend nicht mehr genügend Zeit um bis an die gut 600 km entfernte Grenze zu radeln. Somit müssen wir nochmals auf den öffentlichen Verkehr zurückgreifen. Diesmal steigen wir in einen Schlafbus, welcher uns komfortabel über Nacht an die Grenze bringt.

In den 56 Tagen konnten wir natürlich nur einen Bruchteil Chinas erkunden. Was wir erleben durften, macht jedoch Lust auf mehr! Obwohl wir uns auf ein neues Reiseland freuen, sind wir wehmütig dieses Land mit ihren lieben Menschen, dem leckeren Essen und der interessanten Lebensweise zu verlassen.