Mittwoch, 22. Oktober 2014

4 Länder in 20 Tagen

Mental haben wir uns sicherheitshalber bereits auf schlechtes Wetter und Dauerregen eingestellt. Doch während der Himmel weiterhin lacht, werden wir am Grenzübergang überraschend von unten nass – die Gebühr für das erschreckende “Desinfektions-Bad” können wir dann zumindest umgehen... Ein kurzer Blick des Zöllners in den Reise-Pass, doch ohne einen weiteren Stempel gelangen wir nach Bulgarien und somit in die EU. Der augenfälligste Unterschied bilden die nun in jedem Dorf aufzufindenden Kirchen. Ein Anblick der nach 26 Wochen im islamischen Raum erstaunt – ebenso das öffentliche Trinken von Alkohol (was in Bulgarien offenbar auch gerne schon früh morgens gemacht wird) oder die Bewerbung von Autogaragen mit freizügig bekleideten Damen...

Erneut wählen wir kleine Nebenstrassen und winden uns so in stetigem leichtem auf und ab einen Weg in Richtung Norden.

Nach nur vier Tagen erreichen wir die Donau und somit die Grenze zu Rumänien. Mit der Fähre erreichen wir das 18. Reiseland. Die Differenzen sind erneut nur klein, doch Rumänien gefällt uns auf den ersten Blick.

Beim Radeln durch die farbigen Dörfer mit den (einst) prunkvollen Häusern, queren wir fast so viele Pferdekarren wie Autos. Die Leute sind deutlich zurückhaltender als die (zentral-) asiatischen Zeitgenossen. Obwohl wir die vielen Kontakte immer genossen hatten, freuen wir uns jetzt auch wieder über etwas mehr “Ruhe”. Gerne stellen wir unser Zelt auch mal wieder versteckt im Wald auf und geniessen unser Abendmahl ohne nebenbei Unterhalten zu müssen. Nach über 20 Monaten doch eher einfacher Kost (wenn selbst gekocht), haben wir uns zu einem Wechsel hinreissen lassen. Eine neue Bratpfanne und die Lust auf mehr “Gourmet” mischt unseren Speiseplan ordentlich auf!

Über eine schöne Passstrasse geht es weiter. Die Landschaft ist rau und bietet ein Zuhause für einige Bären. Glücklicherweise erinnern wir uns an die “Bären-Vorsichtsmassnahmen beim Campen” aus Alaska/Kanada und bleiben somit vor einem nächtlichen Besuch im Zelt verschont. Die bekannte Serpentinenstrasse des Transfagarasan bringt uns wieder hinunter nach Sibiu (Hermannsstadt).

Die Weiterfahrt bringt goldiges Herbstwetter und nachdem wir jeweils morgens etwas an die Finger frieren, können wir uns gegen Mittag meist wieder bis auf Kurzarm entledigen. Entlang eines Nationalparkes kommt die schöne Herbststimmung besonders gut zu tragen. Kühe (inkl. Kuhglocken) auf grünen Wiesen, Berge, Wald und Holzhäuser lassen uns wie im Tirol oder in der Schweiz fühlen...

In Europa geht es Schlag auf Schlag und so steht nach zwei schönen Wochen bereits der nächste Grenzübergang an. Wir spüren förmlich, wie wir uns der Heimat nähern – nun befinden wir uns endlich wieder in der gleichen Zeitzone. Auch die wunderbar radfreundlichen Bahnübergänge oder die Deutschen Grosshändler (Lidl, Aldi etc.) erinnern an Zuhause.

In Ungarn geht es flott voran, dies vor allem da es unglaublich flach ist. Während wir anfangs noch auf separaten Radwegen (juhe!) fahren, sind wir plötzlich von vielen Verbotsschildern umgeben. Irgendwie scheinen Radler auf vielen Strassen nicht erwünscht, doch glücklicherweise nimmt es die Polizei nicht so genau.

Budapest geniessen wir gemeinsam mit vielen anderen Touristen, bevor wir auf dem Euro6, einem bekannten Langstrecken-Veloweg, wieder problemlos aus der Stadt finden.

Als Nächstes steht ein Kurzbesuch in der Slowakei an. Erstmals passieren wir eine total unbesetzte Grenzstation und trotzdem ist vieles anders im nächsten Land. Uns scheint, dass die Strassen fast schweizer Qualität haben, sodass wir die wenigen Kilometer im Land, nochmals schneller zurücklegen können.

Nach nicht einmal 24 Stunden verlassen wir die Slowakei bereits wieder – nach 642 Tagen auf Reise betreten wir erstmals wieder deutschsprachigen Raum!

Mittwoch, 8. Oktober 2014

Europa entgegen...

Gleich nachdem Julia den türkischen Einreise-Stempel im Pass hat, wird ihr vom Zollbeamten signalisiert, dass sie sich des Kopftuches entledigen darf. Sofort nimmt sie die bereits oben in der Packtasche deponierten Kleider hervor und verzieht sich auf die Toilette zum Outfit-Wechsel. Nach 28 Tagen im "Pyjama" führt das Gefühl von frischer Luft auf der Haut zu einigen Freudentränen!

Die gute Stimmung hält auch in den nächsten Tagen an. Die Türkei verwöhnt uns mit besten Strassen, deutlich weniger Verkehr (im Vergleich zu Iran) und abwechslungsreicher Landschaft. Immer wieder müssen wir uns kneifen – wir sind in der Türkei und somit praktisch in Europa angelangt. Als wir dann nur unweit der Grenze ein uns bekanntes oranges “M” erblicken, fühlen wir uns auf einen Schlag der Heimat sehr nahe...

Der Osten der Türkei ist Zuhause für viele Kurden, welche uns äusserst gastfreundlich empfangen. Auch hier könnten wir zig Mal am Tag für ein “Çay” (Tee) stoppen und haben nie Probleme einen Übernachtungsplatz zu finden. Die kurdisch/türkische Küche schmeckt uns ausserordentlich gut.

Entlang des grossen Van Sees können wir uns mehrmals abkühlen. Bedenklich ist leider die anhaltend sehr starke Umweltverschmutzung und es erstaunt uns, wie sich die Badegäste zwischen dem Abfall wohlzufühlen scheinen.

Immer wieder werden wir auf Deutsch angesprochen. Ein komisches Gefühl wenn es selbst in kleinen und abgelegenen Dörfern plötzlich heisst “Sprecht ihr Deutsch?”. Meist handelt es sich um Kurden, welche in den 90er Jahren aufgrund Ausschreitungen des Türkisch-kurdischen Konflikt in der Schweiz oder in Deutschland Asyl gefunden hatten. Deutlich spüren wir die Dankbarkeit und oftmals hören wir “Ihr habt uns geholfen, jetzt helfen wir euch!”.

Leider führen auch aktuelle Kriegswirrungen für viel Leid und mehrmals sehen wir syrische Flüchtlingslager am Strassenrand.

Um unsere Reisedauer mit Victor und Tim noch etwas zu verlängern, nutzen wir spontan nochmals den ÖV und überbrücken eine Strecke mit dem Zug. Dieser ist mit max. 30 km/h unterwegs und lässt uns somit die Strecke fast ebenso intensiv wie auf dem Rad geniessen, nur müheloser!

Da unsere Reisebegleiter Besuch von Zuhause bekommen, trennen sich unsere Wege einige Tage später trotzdem und wir fahren alleine weiter. Wir erreichen Kappadokien – ein weiteres Highlight in diesem abwechslungsreichen Land. Auf dem Weiterweg wählen wir bewusst kleine Nebenstrassen und erleben hügelige Radeltage durch kleine Dörfchen. Während man auf dem Dorfplatz meist viele Männer beim geselligen Çay erblickt, trifft man eher selten auf Frauen.

In einem fruchtbaren Tal angelangt, staunen wir, was hier die Natur alles hergibt: In leuchtenden Farben locken Tomaten, Gurken, Peperoni und Auberginen, aber auch Mais-, Melonen- und Kürbis-Felder. Neben blauen und weissen Trauben-Reben, sind die Bäume schwer mit Granatäpfeln, Birnen, Äpfeln und Baumnüssen bestückt. Sogar die Bauern scheinen mit der Ernte überfordert und abends muss sich Roger noch ein extra "Kistli" aufs Velo binden – der Vitamin-Boost und die Vorfreude bringen uns im Eiltempo nach Istanbul.

Um uns die mit dem Rad etwas stressige, langezogene Einfahrt durch die Grossmetropole zu ersparen, setzen wir mit der Fähre nach Europa über. Istanbul hat viel zu bieten und die ausgiebigen Erkundungstouren zu Fuss machen sich noch Tage später mit einem deutlichen Muskelkater bemerkbar.

Die Fahrt aus Istanbul entlang des Bosporus ist überraschend problemlos. Nach einem Erfrischungsbad im kühlen Nass, steuern wir in Richtung Grenze. In Edirne, nur 20 km von Bulgarien entfernt, spannen wir nochmals aus. Kurzum bucht Roger einen Tauchgang im Marmarameer, während Julia erstmals auf dieser Reise zu einem Tag “sünnelen” am Strand kommt.