Samstag, 6. September 2014

Wettlauf gegen die Zeit

Turkmenistan – bestimmt kein typisches Reiseland. Wie für viele andere (Fahrrad-) Reisende drängt sich uns Turkmenistan jedoch als Verbindungsland auf, um auf dem Landweg den Iran zu erreichen. Liest man sich etwas ein, erfährt man unglaubliche Geschichten über einen grössenwahnsinnigen und narzistischen Diktator namens Saparmyrat Ataýewiç Nyýazow, der sich selbst Türkmenbaşy nannte, was soviel bedeutet wie “Führer der Turkmenen“. Inspiriert von einem anderen Führer, kreierte er seinen eigenen Slogan “Halk, Watan, Turkmenbaşy!” (Volk, Nation, Ich!). Sein Konterfei führte er auf allen Banknoten und als Senderlogo des Nationalfernsehens ein und ebenso stellte er goldene Statuen von sich und seinen Eltern in allen Landesteilen auf. Auch liess er alle Wochen- und Monatsnamen durch Namen seiner Familie sowie Nationalhelden ersetzen. Nebenbei schrieb er mehrere Bücher, die für die Turkmenen Pflichtlektüre sind, allen voran sein Buch Ruhnama. Nach seinem plötzlichen Tod im Jahre 2006 durch einen Herzinfarkt wurden zum Glück einige seiner doch sehr eigenwilligen Änderungen wieder abgeschafft.

Nachfolgender Staatspräsident wurde Gurbanguly Berdimuhamedow, welcher bis heute im Amt ist. Erfreulicherweise ist der neue Präsident wesentlich unauffälliger als sein Vorgänger und betreibt bei weitem nicht dessen Personenkult, das Land bleibt jedoch weiterhin sehr abgeschottet. So bekommt man als Individualreisender für saftige 55 Dollar gerade mal ein 5 Tages-Transit-Visa ausgestellt. Als Fahrradreisender eine Herausforderung, sind immerhin 500 km zurückzulegen und dies im Juli bei brütender Hitze.

Um keine Zeit zu verlieren, sind wir am Tag der Einreise die ersten, welche um 7:00 Uhr das Grenzgebäude betreten. Die Formalitäten benötigen dann jedoch seine Zeit. Nachdem man unsere Daten in mehrere grosse Bücher handschriftlich übertragen hat und wir nochmals eine “Registrations-Gebühr” bezahlt sowie den Krankenschwestern im Nebenzimmern einen Besuch abgestattet haben, wird der Einreise-Stempel in unseren Pass gedrückt. Nun folgt jedoch die Gepäckinspektion – dafür brauchen wir nochmals besonders Geduld, werden wir nämlich aufgefordert sämtliche Packtaschen (10 an der Zahl) gänzlich auszuräumen. Drei neugierige Angestellte wühlen mit Freude in unseren Habseligkeiten. Ein strukturiertes Vorgehen lässt sich dabei nicht erkennen, z. B. wird der Medikamenten-Apotheke kein Blick gewürdigt, doch das Würfelspiel genaustens inspiziert. Als wir schon vermuten, als Nächstes die Spielregeln erklären zu müssen, werden wir dann doch noch mit einer mürrischen Handbewegung “entlassen”. Um 10:30 Uhr rollen unsere Räder die ersten Meter im neuen Land, der Thermometer zeigt bereits 43 °C...

Die nächsten Tag sind schnell erzählt: Wir stehen früh auf, um der Hitze wenigstens für eine Weile zu entkommen, dann heisst es Radeln, Radeln, Radeln! Wir finden kaum schattige Plätzchen um zumindest bei den kurzen Trinkpausen nicht der Sonne ausgesetzt zu sein. Das am Rad mitgeführte Wasser hilft aber nicht abzukühlen, es beträgt bestimmt auch um die 40 °C!

Um die Mittagszeit gibt es immer eine lange Pause, ein Nickerchen im Schatten oder einem klimatisierten Raum sowie als grösster Luxus ein eiskaltes Getränk. Mittlerweile haben wir uns so an die Hitze gewöhnt, dass wir bei 36 °C bereits von “angenehm frisch” sprechen. Bei diesen Temperaturen, kurz vor Sonnenuntergang, mobilisieren wir nochmals unsere Kräfte und fahren so weit wie möglich bzw. bis sich ein Plätzchen für die Nacht anbietet. Um den grossen Salzverlust auszugleichen, haben wir in Usbekistan extra noch einen “Regenerations-Drink” erstanden. Das Elektrolyt-Pulver schmeckt grässlich, doch scheint zu wirken – keine Krämpfe, kaum Schwindel.

Leider ist die Zeit zu kurz um uns einen tieferen Eindruck ins Land zu gewähren. Meist radeln wir durch unbesiedelte Wüste, die Begegnungen mit Einheimischen sind jedoch stets angenehm und wiederspiegeln nicht die absurden Geschichten. Auf Nachfrage bekommen wir bei Einheimischen Zelterlaubnis und dann sogar ein Bett präpariert. Die Menschen scheinen uns etwas zurückhaltender, erinnern uns auf eine schöne Weise irgendwie an die Südamerikaner.

Die Abgeschiedenheit ermöglicht wieder vermehrt Tiersichtungen: Dromedare posieren stolz in den Sanddünen, Eidechsen flitzen blitzschnell davon und die Schakale heulen uns in den Schlaf.

Nach vier Tagen erreichen wir erschöpft die nächste Grenze. Wir sind stolz die Herausforderung gemeistert zu haben, sicherlich auch dank des uns positiv gesinnten Windes. Am Zoll heisst es nun für Julia Kopftuch montieren, und wir sind bereits gespannt auf unsere Zeit in der Islamischen Republik Iran.

Keine Kommentare: